Vielleicht wird's nie wieder so schön

Über ganz besondere Momente im Leben und im Glauben

Predigt über Matthäus 17,1-9

Gerhard Schöne beschreibt in seinem Lied „Vielleicht wird's nie wieder so schön" Momente seines Leben, die er als besonders schön in Erinnerung hat. Jedem fallen solche Momente ein. Momente, die besonders schön waren, Momente, bei denen eine gewisse Traurigkeit mitschwingt: Vielleicht wird's ja nie wieder so schön. Momente, die man deshalb am liebsten festhalten würde.

1Sechs Tage später nahm Jesus die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder von Jakobus, mit sich und führte sie auf einen hohen Berg. Sonst war niemand bei ihnen.

Berge haben Menschen schon immer fasziniert. Die höchsten Gipfel zu besteigen war und ist das Ziel mancher Menschen, eine Herausforderung an sich selbst. Die Berichte darüber sagen: Es muss faszinierend sein. Die Welt sieht anders aus von dort oben. Einen kleinen Vorgeschmack bekommen wir, wenn wir bei klarer Sicht auf dem Hochwald oder dem Scharfenstein stehen. Auf einem Berg hat man das Gefühl, dem Himmel näher zu sein.

Tatsächlich finden auch in der Bibel wichtige Begegnungen zwischen Gott und Menschen auf Bergen statt: Die Arche Noah strandet auf dem Ararat, Mose bekommt die zehn Gebote auf dem Berg Sinai, Abraham soll Isaak auf einem Berg opfern, Jesus hält seine wichtigste Predigt auf einem Berg („Bergpredigt"). Wenn Jesus mit einigen ausgewählten Jüngern auf einen Berg steigt ist etwas Besonderes zu erwarten.

2 Vor den Augen der Jünger ging mit Jesus eine Verwandlung vor sich: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden strahlend weiß. Was wie eine Werbung für den „weißen Reisen" klingt, bedeutet natürlich etwas anderes. Im letzten Buch der Bibel wird die zukünftige Herrlichkeit von Jesus beschrieben (Offb 1,16). Genau das sehen die Jünger. Ihnen wird ein Blick in die Zukunft gewährt. Sie sehen etwas, was noch gar nicht zu sehen ist. Sie sehen Jesus nicht als einfachen Menschen, sondern als Lichtgestalt. Der Himmel steht für sie offen. Es war also keine Irreführung, als Jesus sie auf einen Berg führte.

3 Und dann sahen sie auf einmal Mose und Elija bei Jesus stehen und mit ihm reden. Dass es sich hier nicht um ein Naturschauspiel mit der Sonne handelt, wird spätestens jetzt klar. Mose, der dem Volk Israel die Gebote gab, und Elija, der größte aller Propheten, reden mit Jesus. Beide sind lange tot. Gott gewährt hier einen Einblick in seine Ewigkeit, in der unsere Zeitrechnung (Vergangenheit und Zukunft) keine Rolle spielt. Jesus spricht mit den beiden Gottesmännern. Er ist mehr als ein besonders guter Mensch. Jesus gehört in Gottes Ewigkeit. Von dort ist er in diese Welt gekommen und von dort aus wird er diese Welt regieren.

4 Da sagte Petrus zu Jesus: »Wie gut, dass wir hier sind, Herr! Wenn du willst, schlage ich hier drei Zelte auf, eins für dich, eins für Mose und eins für Elija.« Diese Erfahrung tut den Jüngern gut. Manchmal bin ich bisschen neidisch auf die Jünger: Immer in der Nähe von Jesus zu sein, mit ihm zu leben, ihm zu folgen, seine Worte ganz unmittelbar zu hören, seine Taten ganz unmittelbar zu sehen - das stelle ich mir fantastisch vor. Andererseits war der Glaube auch damals immer angefochten. Jesus wurde bekämpft und die Jünger haben ihn nicht nur einmal falsch verstanden. Als er am Kreuz starb, saßen sie ängstlich hinter verschlossenen Türen.

Die Jünger machen hier eine Ausnahmeerfahrung. Dieses Erlebnis ist aus dem Alltag herausgehoben. Der Berg weist darauf hin. Solche Gipfelpunkte gibt es im Leben (Gerhard Schöne) und auch im Glauben. Martin Luther King machte eine entsprechende Erfahrung: „Ich weiß nicht, was geschehen wird. Schwierige Tage liegen vor uns. Aber es bedeutet mir wirklich nichts mehr. Weil ich auf dem Berggipfel war, macht es mir nichts mehr aus. Wie alle Menschen würde ich gern lange leben. Es ist etwas Schönes, alt zu werden. Aber darum sorge ich mich jetzt nicht. Ich möchte allein Gottes Willen tun. Und er hat mir erlaubt, den Berg zu erklimmen. Und ich habe hinübergeschaut und das Gelobte Land gesehen. Vielleicht werde ich es nicht mit euch erreichen, aber ich möchte euch heute Abend sagen, dass wir als Volk in das Gelobte Land einziehen werden. Darum bin ich heute Abend glücklich. Ich sorge mich um nichts. Ich fürchte keinen Menschen. Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Reiches Gottes geschaut..."

Ich kenne Gipfelerlebnisse in meinem Glauben: Momente, in denen das wackelige Vertrauen von einer großen Gewissheit abgelöst wird; in denen Hoffnung keimt; in denen mir das, was ich sonst nur glaube, plötzlich ganz greifbar erscheint. Wenn in einer Gruppe ein tiefgehendes Gespräch entstanden ist; wenn ich mich mit einem wildfremden Christen plötzlich verstehe; wenn mir beim Lesen eines Bibeltextes oder eines Buches plötzlich ein Licht aufgeht; wenn ich mich im Gebet Gott ganz nahe weiß; wenn mir ein Bruder unter Handauflegung die Vergebung meiner Schuld zuspricht; wenn in einem Gottesdienst Gottes Gegenwart zum Greifen nahe war.

Dem Missionar einer Buschkirche in Neuguinea fiel ein Mann auf, der immer nach der Sonntagsmesse noch lange Zeit in der Kapelle auf dem Balken knien blieb, den man dort anstelle eines Knieschemels gebrauchte. Er konnte nicht lesen; er schaute nur mit auf der Brust gekreuzten Armen zum Altar, der jetzt abgeräumt und leer war. Einmal nahm sich der Missionar ein Herz und fragte den Mann, was er denn da die ganze Zeit tue. Der antwortete lächelnd: „Ich halte meine Seele in die Sonne."

Der Glaube braucht solche Gipfelerlebnisse. Am liebsten möchte man sie festhalten, wie Petrus. Heute sind Foto und Video bei Taufen und Trauungen der Versuch etwas festzuhalten, was man nicht festhalten kann. Diese Erfahrung muss auch Petrus machen.

5 Während er noch redete, erschien eine leuchtende Wolke über ihnen, und eine Stimme aus der Wolke sagte: »Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt. Auf ihn sollt ihr hören!« Höhepunkte und Gipfelerlebnisse sind für den Glauben wichtig. Aber jeder weiß: Man kann sich nicht von Gipfel zu Gipfel bewegen. Dazwischen liegen immer Täler. Vor und nach dieser Geschichte spricht Jesus von seinem Leiden und Sterben. Der Berg der Verklärung ist umgeben von den Tälern des Leidens und Sterbens. Glaube heißt zuallererst Gehorsam. Ich kann Jesus nicht gehorchen, wenn ich ihm nur auf Gipfeln begegne: Taufe, Konfirmation, Trauung. Gehorsam hat etwas mit dem Alltag zu tun.

6 Als die Jünger diese Worte hörten, warfen sie sich voller Angst nieder, das Gesicht zur Erde. Es kann einen vor Begeisterung umhauen. Es kann aber auch sein, dass wir ganz abrupt auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden - gerade, wenn es eben noch besonders schön war. Die Begegnung mit Gott lässt mich nicht abheben. Sie holt mich auf den manchmal harten und staubigen Boden der Realität zurück.

7 Aber Jesus trat zu ihnen, berührte sie und sagte: »Steht auf, habt keine Angst!« 8 Als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus allein. Das ist ein flaues Gefühl: Ich muss wieder ins Tal (Achterbahn!). Die Jünger haben erlebt, dass sie nicht allein sind. Jesus richtet sie auf. Er tut das mit Worten, mit denen er sonst Tote auferweckt. Für ihn gibt es keine Grenze. Er steigt mit seinen Jüngern ins Tal.

9 Während sie den Berg hinunterstiegen, befahl er ihnen: »Sprecht zu niemand über das, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn vom Tod auferweckt ist.« Der Glaube besteht nicht nur aus Gipfeltreffen mit Gott. Die gehören dazu. Momente, in denen man dankt: Vielleicht wird's nie wieder so schön? Gott gönnt uns traumhafte Augenblicke. Jesus hat die drei Jünger mit auf den Berg genommen. Er will auch uns mitnehmen und uns Erfahrungen seiner Nähe schenken. Er will uns die Augen öffnen, damit wir hin und wieder sehen, was wir glauben. Lassen wir uns mitnehmen auf den Berg. Aber hüten wir uns vor einem Glauben, der nur auf Gipfel wartet. Jesus hat genau diese drei Jünger auch mit in den Garten Gethsemane genommen, wo er mit Gott gerungen hat und wo er sich durchgerungen hat zu dem schweren Satz: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe."

Christsein besteht nicht nur aus Gipfeltreffen mit Gott. Es führt auch durch Täler von Trauer und Leid. Jesus ist uns auch dann nahe - und wir können auf ihn sehen: 7 Aber Jesus trat zu ihnen, berührte sie und sagte: »Steht auf, habt keine Angst!« 8 Als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus allein.

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