Alles Liebe oder was?

"Bleibt gesund!", "Passt auf euch auf!", "Seid nett zueinander!", "Lasst euch nicht unterkriegen!"

In die Reihe von Ermahnungen und Wünschen, die einem gelegentlich (nicht zuletzt am Beginn eines neuen Kalenderjahres) gesagt werden, scheint die Jahreslosung für das Jahr 2024 nahtlos hineinzupassen:

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1Kor 16,14)

Ein Kalenderspruch aus der Bibel? Eine Allerweltswahrheit als Bibelwort, das uns durch ein Jahr begleiten soll? Dass mehr Liebe dieser Welt insgesamt und unserem Zusammenleben konkret gut täte, wird ja wahrscheinlich niemand bestreiten. Widerstand könnte allenfalls das Wort "alles" provozieren. Alles soll in Liebe geschehen? Wirklich alles?

Halten wir zunächst fest: Vieles geschieht in Liebe. Ehepartner lieben einander, Eltern lieben ihre Kinder, Großeltern ihre Enkel, erwachsene Kinder pflegen aufopferungsvoll ihre alt gewordenen Eltern. Männer und Frauen engagieren sich in der Freiwilligen Feuerwehr oder beim DRK, arbeiten in Pflegeberufen oder als Erzieherinnen, um Nächstenliebe praktisch werden zu lassen. Vieles geschieht in Liebe - aber alles, was wir tun? Geht das überhaupt? Muss das sein? Reicht es nicht, wenn manche Sachen gemacht werden, einfach weil sie gemacht werden müssen?

Der Apostel Paulus schreibt diese Ermahnung im letzten Kapitel seines ersten Briefes an die Christen in der Stadt Korinth. Er kann er davon ausgehen, dass den Leserinnen und Lesern in Erinnerung ist, was er in den 15 Kapiteln davor geschrieben hat. Und dass ihnen vor allem die Sätze wieder einfallen, in denen er schon einmal die Wörter "alles" und "Liebe" kombiniert hatte:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1.Kor 13,4-7)

Jeder, der regelmäßig an die Grenzen seiner Frustrationstoleranz stößt, weiß: Hier beschreibt Paulus nicht die Liebe, die wir normalerweise aufbringen, sondern die agape - die Liebe, mit der Gott uns liebt, und die auf uns abfärben soll.

Die Gemeinde in Korinth war mit Gaben von Gott reich gesegnet (1Kor 12). Was fehlte, war die Liebe. Man prahlte und konkurrierte miteinander, vor allem mit den spektakulären Gaben. Paulus stellt klar:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. (1Kor 13,1-3) ... Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1Kor 13,13)

Paulus unterstreicht: Liebe ist zwar nicht alles, aber ohne Liebe ist alles nichts! Darauf kommt er nun zurück, wenn er am Ende des Briefes mahnt:

Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1Kor 16,13-14).

Diese Jahreslosung ist also mehr als ein Kalenderspruch: Seid nett zueinander! Sie erzeugt aber auch keinen moralischen Druck. Sie verlangt von uns nichts, was uns heillos überfordert. Vielmehr ist sie eine hilfreiche Erinnerung. Sie erinnert uns an die Liebe, mit der wir von Gott geliebt werden und die Jesus gelebt hat: die alles erträgt, alles glaubt, alles hofft und allem stand hält. Gott will uns nicht durch Ermahnungen zu etwas besseren Menschen machen. Er will durch Jesus Neues in uns schaffen.

Zu dem berühmten "Hohelied der Liebe" in 1Kor 13 gibt es eine schöne Empfehlung: Man soll beim Lesen das Wort "Liebe" durch "Jesus" ersetzen. Probieren Sie es ruhig einmal aus! In diesem Sinne kann man auch die Jahreslosung 2024 hören:

Alles, was ihr in diesem Jahr tut - in der Familie, in der Schule, auf Arbeit;

alles, was ihr tut - als Christen in eurer Stadt;

alles, was ihr tut - als Gemeinde;

alles, was ihr tut, geschehe in Jesus.

Daran wollen wir uns gern erinnern lassen!

Ihr Pfarrer

Jörg Hänel

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