Der Weg

Predigt über Johannes 14,1-6

Ein neues Jahr beginnt. Wir wissen nicht, welche Wege uns das Jahr 2005 führen wird - ob es breite Wege sind, auf denen man gut vorankommt, oder ob es schmale, steinige Pfade sind, die Kraft kosten und auf denen man zu stolpern droht. Wir wissen nicht, auf welche Kreuzungen und Hindernisse wir stoßen werden und ob unser Weg in diesem Jahr etwa vorzeitig endet. Wir haben die Hoffnung, dass es ein guter Weg ist, auf dem wir unterwegs sind.

Der Weg ist ein beliebter Vergleich für das Leben. Wir sprechen vom „Lebenslauf" und vom „Lebensweg" eines Menschen. Der Jahreswechsel ist da so eine Art Etappe. Ein Punkt, an dem man auf den zurückgelegten Weg zurückblickt und einen Blick auf den vor einem liegenden Weg wirft. Es werden unterschiedliche Gedanken sein, die uns heute durch den Kopf gehen - je nachdem, was hinter uns liegt; je nachdem, was vor uns liegt, oder besser: wovon wir schon wissen, dass es vor uns liegt. Denn die Wege, die vor uns liegen, sind uns nicht bekannt.

Man kann auf zweierlei Weise auf diese Tatsache reagieren: Die erste Möglichkeit: Man kann sich auf das konzentrieren, was man nicht weiß. Man kann sich Hoffnungen und Befürchtungen, Ängste und Sorgen machen. Man kann sich ausmalen, was alles kommen könnte - und dann ggf. dankbar sein, dass es so schlimm doch nicht kam. Die zweite Möglichkeit: Man kann sich auf das konzentrieren, was klar und sicher ist. Ich möchte Sie dazu einladen, einen Blick auf das zu werfen, was wir über den Weg des neuen Jahres schon wissen können. Die Bibel hilft uns dabei:

1 Dann sagte Jesus zu allen: »Erschreckt nicht, habt keine Angst! Vertraut auf Gott und vertraut auch auf mich!

Ein neues Jahr kann ganz unterschiedliche Gedanken auslösen: Freude auf ein Jubiläum oder einen runden Geburtstag, einen schönen Urlaub, den langersehnten Führerschein, das Studium, die Rente; Gleichgültigkeit über den 1.1., der ein Tag wie jeder andere ist, es wird wohl nichts besonderes kommen; Angst vor Schmerzen, Leid, Trauer, Naturkatastrophen, Not, Gefahr, Unfällen, Krankheit, Tod - wir mussten in den letzten Tagen sehen, welches unvorstellbare Leid das Leben treffen kann.

Jesus weiß darüber Bescheid. Er kennt unsere Gedanken. Deshalb sagt er: Erschreckt nicht, habt keine Angst! Vertraut auf Gott und vertraut auch auf mich!

Wir sagen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Jesus sagt: Vertrauen ist das Beste, denn im Blick auf die Zukunft gibt es nichts zu kontrollieren. Die Zukunft ist Gott vorbehalten. Sie ist wie ein Vorhang, hinter den wir nicht sehen dürfen. Natürlich haben Menschen immer wieder versucht, durch Wahrsagerei, Horoskope, Bleigießen, Kartenlegen, Pendeln, Gläserrücken, Totenbefragungen einen Blick hinter den Vorhang zu werfen. Gerade rund um den Jahreswechsel ist das sehr beliebt. Das sind keine harmlosen Spielereien, sondern Angriffe auf Gottes Souveränität. Gott hat festgelegt, dass die Zukunft nur ihm zugänglich ist. Wer das in Frage stellt, stellt Gottes Herrschaft in Frage. Das ist Sünde, das trennt von Gott.

Es bleibt dabei: Wir kennen unsere Zukunft nicht. Und ich bleibe dabei: Ich denke, dass wir Gott dafür dankbar sein können. Ich bin Gott dankbar, dass ich z.B. nicht weiß, wie und wann ich sterben werde. Ich glaube, es würde mich verrückt machen. Das Vertrauen dagegen macht unser Leben menschlich. Wenn alles bekannt wäre, gäbe es keine einzige Überraschung mehr. Klar, manche böse Überraschung bliebe uns erspart, aber es gäbe dann auch keine schönen Überraschungen mehr, die machen das Leben reich machen.

Deshalb sagt Jesus: Erschreckt nicht, habt keine Angst! Vertraut auf Gott und vertraut auch auf mich! Und er sagt weiter: 2 Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, und ich gehe jetzt hin, um dort einen Platz für euch bereitzumachen. Sonst hätte ich euch doch nicht mit der Ankündigung beunruhigt, dass ich weggehe. 3 Und wenn ich gegangen bin und euch den Platz bereitet habe, dann werde ich zurückkommen und euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin.

Mit diesem Abschnitt beginnen die so genannten Abschiedsreden, die Jesus seinen Jüngern hielt. Er hat nicht ein neues Jahr vor Augen, sondern den Tod. Er wusste, dass sein Lebensweg in Kürze enden würde. Es ist gut, dass diese Worte in dieser Situation gesagt wurden. Das macht sie glaubwürdig. Wenn man auf einem stockdunklen Weg geht, ist es keineswegs klar, ob und wie es weitergeht. Dann fällt das Vertrauen schwer, weil man nicht weiß, ob der nächste Schritt ins Leere geht. Deshalb spricht Jesus so einen ganz dunklen Abschnitt des Lebensweges an, die tiefste Krise des Lebens überhaupt, den Tod. Denn das Vertrauen, von dem Jesus spricht, hat nur Sinn, wenn ich auf etwas vertraue, was auch im Tod Bestand hat. Im Angesicht des Todes wird klar, ob ich im Leben auf das Richtige und den Richtigen vertraut habe. Der Tod wird oft als der Punkt beschrieben, an dem alle Wege zu Ende sind. Das stimmt, was die irdischen, menschlichen Wege betrifft. Trotzdem vertrauen wir darauf, dass mit dem Tod nicht alle Wege enden. Wenn wir das glauben würden, dann hätten wir keine Hoffnung. Dann hätte das Leben keinen Sinn und kein Ziel.

Jesus sagt: Der Tod ist eine Art Heimweg zu Gott. In der Wendezeit hatte es oft leichter, „wer drüben schon jemanden hatte". Wer sagen konnte: „Ich habe Bruder/Schwester/Eltern drüben, die haben alles vorbereitet, Arbeit versorgt, Wohnung beschafft", hatte dort eine Heimat. So spricht Jesus von Gottes Welt. Er ist schon drüben. Dort sind viele Wohnungen. Jesus bereitet alles für den Tag vor, an dem es für uns soweit ist. Wir haben eine Heimat bei Gott, wenn diese Welt einmal nicht mehr unsere Heimat sein wird. Darauf können wir „nur" vertrauen! Aber immerhin: Wenn wir darauf nicht vertrauen könnten, bliebe nur Leere, Verzweiflung und Sinnlosigkeit.

Wir haben eine Heimat bei Gott. Das kann uns getrost machen im Blick auf die Wege, die im neuen Jahr vor uns liegen und die wir nicht kennen. Trotz unbekannter Wege - das Ziel ist klar: Eine von Jesus vorbereitete Wohnung bei Gott.

Wir haben eine Heimat bei Gott. Das ist allerdings keine Allerweltszusage, die für alle Menschen gilt. Wie nicht alle Wege nach Rom führen, führen auch nicht alle Lebenswege zu Gott. Es ist ein bestimmter Weg, der dorthin führt: 4 Den Weg zu dem Ort, an den ich gehe, den kennt ihr ja.«

5 Thomas sagte zu ihm: »Herr, wir wissen nicht einmal, wohin du gehst! Wie sollen wir dann den Weg dorthin kennen?«

6 Jesus antwortete: »Ich bin der Weg, denn ich bin die Wahrheit und das Leben. Einen anderen Weg zum Vater gibt es nicht.

Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben. Die Welt, in der wir leben, ist vom Gegenteil geprägt: Ausweglosigkeit, Lüge, Tod. Leider werden wir mit einiger Sicherheit sagen können, dass sich das auch 2005 nicht ändern wird. Aber inmitten der Ausweglosigkeit hat Gott einen Weg für uns; inmitten aller Lüge gibt es eine bleibende Wahrheit; inmitten des Todes können wir das Leben finden. Jesus zeigt nicht den Weg, er ist es! Jesus lehrt nicht die Wahrheit, er ist sie! Jesus gibt nicht das Leben, er ist es! Deshalb geht es bei unserem Glauben nicht um Wissen und um Dogmen. Es geht um eine Person, um Jesus Christus. Dass wir zu ihm gehören, darum geht es. Das ist das einzige, was zählt. Die konkreten Schritte auf den Wegen des neuen Jahres, die finden sich dann schon. Aber diese Zugehörigkeit, die muss geklärt sein. Einen anderen Weg zum Vater gibt es nicht.

Selbst in der tiefsten aller Krisen

bist Du Gott uns Menschen nah.

Selbst am Ende unsrer Tage

scheint dein Licht uns hell und klar.

Selbst im Tod schenkst Du uns Leben,

schenkst uns Hoffnung, sprengst die Zeit.

Drum kannst Du uns aufstehn helfen

aus den Krisen unserer Zeit. (Clemens Bittlinger)

Wie auch immer die Wege des neuen Jahres sich gestalten werden - eins sollte klar sein: Dass wir sie nicht ohne Jesus gehen. Nur so haben sie Sinn und Ziel - bei Gott. Nur so können wir die Freuden richtig erleben, die uns erwarten, und nur so können wir die Krisen durchstehen, die dieses Jahr für uns bereithält.

„Das nächste Jahr wird kein Jahr ohne Angst, Schuld und Not sein.

Aber dass es in aller Schuld, Angst und Not ein Jahr mit Christus sei, dass unserem Anfang mit Christus eine Geschichte mit Christus folge, die ja nichts ist als ein tägliches Anfangen mit Ihm, darauf kommt es an!" (Dietrich Bonhoeffer)

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