Nicht von dieser Welt!?

Warum Christen die „doppelte Staatsbürgerschaft" haben

Predigt über Johannes 15,18-21

Der englische Prediger John Wesley (1703-1791) hatte viele Freunde und Anhänger, aber auch erbitterte Gegner. Der Grund: Er nahm in Predigten kein Blatt vor den Mund. Er nannte Sünde beim Namen - und auch Sünder. Einmal ging er durch eine ganz enge Gasse. Da kam ihm ein Lord entgegen, der Wut auf den Prediger hatte. Der Lord blieb direkt vor Wesley stehen und sagte scharf: „Ich gehe keinem Narren aus dem Weg!" Wesley ging betont freundlich zur Seite und sagte lächelnd: „Aber ich tue es gerne!"

Diese kleine Anekdote erinnert daran, dass es Zeiten gab, in denen heftiger über den Glauben gestritten wurde, als das heute der Fall zu sein scheint. Jedenfalls müssen die Eltern der heute getauften Kinder nicht damit rechnen, dass ihnen nachher auf dem Heimweg jemand den Weg versperrt mit der Begründung: „Solchen Narren, die ihre Kinder noch taufen lassen, gehe ich nicht aus dem Weg!". Und mir wird das vermutlich auch nicht passieren.

Wenn die Welt euch hasst... Mit diesen Worten beginnt eine Rede von Jesus, die uns in diesem Gottesdienst näher beschäftigen soll. Sie merken an dieser Einleitung schon, dass Jesus diese Worte in eine bestimmte Situation spricht. Er denkt an Menschen, die wegen ihres Glaubens, wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus gehasst und verfolgt werden. Wir wissen, dass es so etwas bis heute in dieser Welt gibt. Jede Woche erreichen uns Nachrichten von Christen, die wegen ihres Glaubens benachteiligt oder verfolgt werden. Manche von uns haben noch Erinnerungen an die DDR-Zeit. Da konnte sich die Taufe oder die Konfirmation durchaus nachteilig auf die schulische oder berufliche Laufbahn auswirken. Also - so weit weg ist das alles nicht. Nur im Moment, da scheint es uns nicht zu betreffen. Aber hören wir ruhig erst einmal, was Jesus überhaupt sagt:

18 »Wenn die Welt euch hasst, dann denkt daran, dass sie mich zuerst gehasst hat. 19 Die Welt würde euch als ihre Kinder lieben, wenn ihr zu ihr gehören würdet. Aber ich habe euch aus der Welt herausgerufen und ihr gehört nicht zu ihr. Aus diesem Grund hasst euch die Welt.

20 Denkt an das, was ich euch gesagt habe: Kein Diener ist größer als sein Herr. Wie sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen. Und so viel oder so wenig sie sich nach meinem Wort gerichtet haben, werden sie sich auch nach dem euren richten.

21 Das alles werden sie euch antun, weil ihr euch zu mir bekennt. Sie kennen nämlich den nicht, der mich gesandt hat.

Wenn die Welt euch hasst... Man kann ja ruhig einmal die Frage stellen: Warum ist das für uns heute denn anders? Warum hasst uns die Welt offenbar nicht? Es gibt zwei mögliche Antworten:

1. Antwort: Die Welt hat erkannt, dass Christen etwas zu sagen haben und ist daran interessiert. Den Eindruck kann man ja tatsächlich manchmal bekommen. „Schluss mit lustig", ein Buch des bekennenden Christen Peter Hahne, ist seit Monaten auf den Bestseller-Listen zu finden; Wir haben einen Bundespräsidenten, der schon mal am Ende einer Rede sagt: Gott segne unser Land!; Noch nie haben sich so viele Bundesliga-Fußballer offen zu ihrem christlichen Glauben bekannt: Zé Roberto, Lucio, Gerald Asmoah, Bordon, Cacao, Cha...; In einer Zeitung las ich, dass ein Professor an der Berliner Charité seinen Patienten Bibeln schenkt; Als kürzlich in der Wochenzeitung DIE ZEIT behauptet wurde, die Evolutionstheorie sei keine Theorie, sondern erwiesen, da hat mich der Gegenwind aus der Leserbrief-Ecke überrascht.

Ich weiß nicht, ob das vor einigen Jahren alles so möglich gewesen wäre.

2. Antwort: Christen haben sich angepasst. Man sieht bei Christen kein grundlegend anderes Lebenskonzept, an dem man sich stoßen oder reiben oder das einen herausfordern könnte. Die Ehen von Christen werden genauso häufig geschieden wie die Ehen von anderen Menschen; in Gemeinden gibt es auch Streit. Nur, dass man seine Kinder tauft und konfirmiert und sich zu Gottesdiensten trifft und Bibel liest - das ist ja nun kein grundlegend anderes Lebenskonzept. Es lohnt sich nicht, sich damit auseinander zu setzen.

Das sind die zwei Möglichkeiten, warum wir den Eindruck haben, dass das auf uns nicht zutrifft: Wenn die Welt euch hasst... Für beide gibt es Indizien. Wir werden an dieser Stelle immer wachsam bleiben müssen. Wir werden unseren Glauben bekennen, wenn wir die Chance dazu haben. Und wir werden beobachten, inwieweit der jeweilige Zeitgeist unseren Glauben aushöhlt und kraft- und saftlos macht. Wir bemühen uns, wieder „normal" zu werden (das wieder entdecken, was die Bibel als normal im Leben eines Christen ansieht). Dann wird unser Leben eine Herausforderung für unsere Umgebung sein.

Denn Jesus sagt hier etwas sehr wesentliches über das Leben als Christ. Er sagt: Ihr seid nicht von dieser Welt: Aber ich habe euch aus der Welt herausgerufen und ihr gehört nicht zu ihr.

Was meint Jesus damit? Zunächst einmal sind wir natürlich von dieser Welt. Wir sind von Natur aus Kinder dieser Welt. Unser Leben ist der Vergänglichkeit unterworfen, wie alles Leben in der Welt: Von Erde sind wir genommen, zu Erde werden wir wieder. Von unserem Leben sagt Gott - wie vom Leben aller Menschen: Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.

Andererseits Jesus: Ich habe euch aus der Welt herausgerufen... Hier ist gemeint, was wir vorhin miterleben durften: Die erste Frage an Eltern und Paten vor der Taufe lautete: Möchten Sie, dass Ihr Kind heute in die Liebe Gottes hineingetauft wird, um dadurch Anteil zu haben an dem Leben, das Christus schenkt... Es geht um ein neues Leben, ein Leben unter der Herrschaft von Jesus, ein Leben in seinem Licht, nach seinen Maßstäben.

Christen leben in dieser Welt, aber sie sind nicht von dieser Welt. Wir haben eine Art „doppelter Staatsbürgerschaft". Mit unserer Taufe hat ein zweites Leben begonnen, ein Leben als Kind Gottes. Axel Kühner hat beides einmal schön gegenübergestellt:

Bei meiner Krankenkasse bin ich eine Nummer, bei meinem Heiland habe ich einen Namen.

Im Beruf habe ich eine Funktion, bei Jesus bin ich ein Freund.

In der Gesellschaft bin ich ein Rädchen, an Jesus, dem Weinstock, bin ich eine Rebe.

In der Wirtschaft hin ich Verbraucher und Kunde, bei Gott bin ich Vertrauter und Königskind.

Hier hat mein Leben einmal ein Ende, bei Gott hat mein Leben einmal eine Vollendung.

Beides steht zueinander in Konkurrenz. Meine Lebensaufgabe heißt: Jesus Raum geben. Die Schlüsselfrage heißt: Was prägt mich? Wovon lasse ich mich prägen? Von dieser Welt mit ihrer Vergänglichkeit, ihrem kurzen Glück, ihrer Krankheit, Leid, Tod - oder von Jesus, seiner Liebe, die ich mir nicht verdienen muss, seiner Gnade, seinem Frieden (der die Wurzel für jede Zufriedenheit ist), seiner Barmherzigkeit? Was gewinnt die Oberhand in meinem Leben?

Es geht nicht darum, dass wir mehr lieben und barmherziger sind und zufriedener - aus eigener Kraft und Anstrengung, sondern dass wir Jesus Raum in uns geben, damit er uns Liebe, Barmherzigkeit und Zufriedenheit schenkt, die wir an andere weitergeben. Deshalb feiern wir Gottesdienste, deshalb lesen wir in der Woche gemeinsam die Bibel: damit Jesus in uns Raum gewinnt, weil wir ein Gegengewicht zum Einfluss dieser Welt brauchen.

Der Glaube gibt uns ein Gespür dafür, dass es noch etwas anderes gibt, als diese Welt mit ihren Spielregeln von Fressen und Gefressen werden, mit ihrem Druck, ihrer Hektik, ihrer Vergänglichkeit. Gott liebt diese Welt. Deshalb hat er seinen einzigen Sohn Jesus in die Welt geschickt. Er hat die Tür für uns geöffnet. Er lädt uns zu einem Leben nach seinen Maßstäben, mit seiner Kraft, unter seinem Segen ein. Wir sind Kinder dieser Welt, aber wir dürfen Kinder Gottes werden - auch dann, wenn wir nicht als Baby getauft wurden.

Wer diese Einladung annimmt, wird sich dann allerdings immer auch unterscheiden von Menschen, die Gott nicht kennen. Wenn Gott der Mittelpunkt in meinem Lebensentwurf ist, dann muss sich dieser Lebensentwurf zwangsläufig von einem unterscheiden, in dem Gott nicht vorkommt. Da treffen zwei Welten aufeinander. Wir wollen dankbar sein, dass sich dieser Unterschied zurzeit für uns meist nur in Unverständnis äußert und nicht in offenem Hass. Das kann sich auch wieder einmal ändern.

Das ist unsere Situation. Darauf bereitet Jesus uns mit seinen Worten vor. Wir leben in dieser Welt, aber wir sind nicht von dieser Welt. Und ich bin Gott von Herzen dankbar, dass er mir noch etwas anderes zeigt als das, was ich Tag für Tag in dieser Welt sehe.

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