Belohnt oder beschenkt?

Predigt über Römer 6,19-23

Prof. Ron Sider schrieb in einem Artikel über seinen Vater u.a.:

Mein Vater liebt Jesus von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit seinem ganzen Verstand. In seinem ganzen Leben war Jesus immer der Mittelpunkt. Er und meine Mutter lebten nach dem Motto, das sie früher als Spruch in mein Zimmer gehängt hatten: „Du hast nur ein Leben. Es wird bald vergehen. Nur was du für Jesus tust, bleibt ewig bestehen." Das Dresch-Team des Dorfes, zu dem mein Vater gehörte, arbeitete normalerweise bis spät abends, um im Sommer Hafer und Weizen zu ernten. Aber am Mittwochabend machten sie früher Feierabend ... denn: „Jimmy geht zur Gebetsstunde!" Als mein Vater den Eindruck hatte, Gott sage ihm, er solle am Sonntag keine Milch mehr ausliefern, hörte er damit auf. Obwohl er befürchten musste, dass er dadurch seine wichtigste Einnahmequelle verlieren könnte. Und als Gott diesen Bauern und Prediger dazu berief, Pastor im hauptamtlichen Dienst zu werden, verkaufte mein Vater seine geliebte Farm. Ich als sein Sohn hatte nie den geringsten Zweifel daran, was für meinen Vater das Wichtigste im Leben war...1

Ein faszinierendes Lebensziel: Menschen, die mir begegnen, merken, was mir wichtig ist, wofür ich lebe. Ich merke, dass ich selber manchmal aus den Augen verliere, was mir wichtig ist. Deshalb tun wir uns einen großen Gefallen, wenn wir einige ganz grundlegende Lebensfragen anschneiden: Wofür lebe ich? Was will ich erreichen? Das ist wie bei der Fahrt in den Urlaub. Ich habe ein Ziel vor Augen: den Urlaubsort. Wenn ich in jedem Ort auf dem Weg jede Sehenswürdigkeit ansehen will oder in jeder Gaststätte einkehren will, die mit einladenden Schildern wirbt, komme ich nicht an. Ich muss wissen, warum ich unterwegs bin. Wenn ich vergesse, dass ich in den Urlaub fahren will, werde ich mich unterwegs verzetteln.

19 Wenn ich vom Sklavendienst der Gerechtigkeit rede, überziehe ich den Vergleich; aber ich will, dass ihr mit eurem begrenzten menschlichen Verstand erfassen könnt, worauf es ankommt. Früher hattet ihr eure Glieder und alle eure Fähigkeiten in den Dienst der Ausschweifung und Zügellosigkeit gestellt. Ihr führtet ein Leben, das Gott nicht gefallen konnte. So stellt jetzt umgekehrt eure Glieder und Fähigkeiten in den Dienst des Guten, und führt euer Leben als Menschen, die Gott gehören.

Die Menschen, denen Paulus schreibt, haben einen ziemlich deutlichen Einschnitt in ihrem Leben erfahren: Sie waren Christen geworden und hatten sich als Erwachsene taufen lassen. Damit begann für sie ein neues Leben mit neuen Werten und Zielen. Für die meisten von uns war es anders: Wir wurden als Babys getauft und sind dann Schritt für Schritt in den Glauben hineingewachsen. Deshalb ist es für uns fremd, wenn Paulus von „früher" und „jetzt" schreibt - und von den Welten, die dazwischen liegen. Was wir aber 1:1 auf unser Leben anwenden können ist die Aufforderung, die Paulus an die Christen in Rom richtet: So stellt jetzt eure Glieder und Fähigkeiten in den Dienst des Guten, und führt euer Leben als Menschen, die Gott gehören.

Ein Drittel der Einwohner Roms waren damals Sklaven und natürlich gehörten Sklaven auch zur christlichen Gemeinde. Für uns ist das eine fremde Welt, aber wir wissen zumindest, was Paulus mit seinem Vergleich meint: Ein Sklave gehört seinem Herrn ganz, mit Haut und Haaren. Mein Leben - ganz egal, wie ich es führe - gehört jemandem. Ich diene jemandem, ich bringe eine Sache voran, ich fördere mit meinem Leben irgendetwas. Paulus fordert natürlich dazu auf mit Haut und Haaren Gott zu gehören, seine Sache, das Gute, die Gerechtigkeit mit unserem Leben zu fördern. Manchmal denken wir, dass wir mit unserem kleinen Leben den Lauf der Welt ohnehin nicht beeinflussen können. Ob ich mich nun so oder so verhalten - was macht das schon für einen Unterschied? Wir haben alle schon gehört, dass z.B. der Protest Einzelner zu einer Bewegung wurde, die letztlich Veränderungen herbeigeführt hat. Trotzdem gehen wir immer wieder in die Falle und reden uns ein: Ich kann doch in dieser Welt nichts ändern. Ob ich nun nach Gottes Willen frage oder nicht - davon wird die Welt nicht besser. Wer sagt das? Unser Leben ist viel wichtiger, als wir manchmal denken. Es hat einen Wert und ein Gewicht in dieser Welt. Deshalb ist es wichtig, wem wir gehören und wem wir dienen, wessen Sache wir mit unserem Leben voranbringen. Paulus jedenfalls ist fest davon überzeugt, dass unser inneres Christsein in der äußeren Lebensführung sichtbar und greifbar werden muss:

20 Solange ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr dem Guten gegenüber frei. 21 Was kam dabei heraus? Ihr schämt euch jetzt, wenn ihr daran denkt; denn was ihr damals getan habt, führt am Ende zum Tod. 22 Aber jetzt seid ihr vom Dienst der Sünde frei geworden und dient Gott. Was dabei herauskommt, ist eine Lebensführung, durch die ihr euch als Gottes heiliges Volk erweist, und am Ende erwartet euch ewiges Leben.

Das Prädikat „ewig" ist an dieser Stelle keine Zeitangabe, sondern ein Qualitätsurteil. Jedes Haus, das Menschen bauen, wird eines Tages baufällig. Viele Meinungen, die Menschen vertreten, sind eines Tages überholt. Jedes Leben gerät einmal in Vergessenheit. Ewig ist nur Gott. Wenn wir ihm dienen, wenn wir ihm gehören, dann wird unser Leben ewig. Es wird ein Leben, das vor Gott Bestand hat. Ein Merkmal dieses Lebens ist auch, dass der Tod es nicht mehr auslöschen kann. Aber das ist nur ein Aspekt! Es geht um ein Leben mit dem Qualitätssiegel „ewig".

Vor diesem Hintergrund zeigt Paulus in wenigen Sätzen zwei grundsätzliche Ausrichtungsmöglichkeiten des Lebens auf: Entweder ich diene Gott, bringe seine Sache in dieser Welt voran; oder ich diene der Sünde, also allem, was von Gott getrennt ist, und bringe diese Sache voran. Es gibt Dinge im Leben, da kommen einfach keine Graustufen vor. Bei der Ehe z.B.: Entweder ich bin verheiratet oder ich bin es nicht. Ich kann nicht sagen: Ich befinde mit dazwischen, wir sind ein bisschen verheiratet. Es gibt keine Graustufe. Bei der Bindung eines Menschen an Gott ist es ähnlich: Entweder ich gehöre Gott und diene ihm, oder ich diene einer anderen Sache in der Welt. Das hat übrigens nicht nur Paulus so gesehen. Bob Dylan singt in seinem Song „Serve somebody": Egal, was du machst, egal, wer du bist: irgendjemand musst du dienen - kann sein, es ist der Teufel, kann sein, es ist Gott. Martin Luther hat es mit einem Vergleich ausgedrückt: „Der Mensch ist ein Reittier. Wenn Gott darauf sitzt, will und geht es, wie Gott will..., wenn der Satan darauf sitzt, will und geht es, wie der Satan will." Und dann nennt Paulus den gravierenden Unterschied zwischen beiden Lebensrichtungen:

23 Der Lohn, den die Sünde zahlt, ist der Tod. Gott aber schenkt uns unverdient, aus reiner Gnade, ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Haben Sie den gravierenden Unterschied bemerkt? Es sind die Wörter Lohn und Geschenk. Das Wesen der Sünde, also jedes Lebensentwurfs ohne Gott, ist: Da wird abgerechnet, aufgerechnet, quittiert, gezahlt. Das Wesen eines Lebens mit Gott ist: Es geht nicht um Lohn oder Sold (Luther), sondern um ein unverdientes Geschenk. Das ist schwer zu verstehen, weil wir mit Zensuren, Punktesystemen und Gehaltsgruppen aufwachsen. Ich leiste etwas und dafür gibt es eine Belohnung. Viele Menschen haben diese Erfahrung auf ihren Glauben übertragen. Ich leiste etwas, und Gott belohnt mich dafür. Ein Gebet: 5 Punkte im Himmel; ein Gebot halten: 25 Punkte. Und dann gehe ich mit meinem Punktekonto zu Gott und lasse mir meinen Platz im Himmel auszahlen. Das ist natürlich karikiert. Aber prüfen Sie einmal, ob Sie nicht doch manchmal so denken!

Ohne Gott, da wird geleistet und entlohnt - und der Lohn ist der Tod. Den hätten wir alle verdient. Ein Leben mit dem Qualitätsmerkmal „ewig" kann ich mir nicht verdienen, muss ich mir auch nicht verdienen. Deshalb ist jeder Leistungsgedanke im Zusammenhang mit dem Glauben sinnlos. Dieses Leben muss mir Gott schenken. Dieses Leben will mir Gott schenken. Deshalb macht es Sinn mein Leben auf dieses Ziel auszurichten: So stellt jetzt eure Glieder und Fähigkeiten in den Dienst des Guten, und führt euer Leben als Menschen, die Gott gehören. ... Aber jetzt dient (ihr) Gott. Was dabei herauskommt, ist eine Lebensführung, durch die ihr euch als Gottes heiliges Volk erweist, und am Ende erwartet euch ewiges Leben.

„Ich als sein Sohn hatte nie den geringsten Zweifel daran, was für meinen Vater das Wichtigste im Leben war...", schrieb Ron Sider. Wofür lebe ich? Wem gehöre ich? Wem diene ich? Das sind Fragen, die einem niemand stellt. Man muss sie sich selbst stellen. Paulus macht uns Mut dazu, weil es die Richtung meines Lebens beeinflusst, ob ich belohnt oder beschenkt werden will: Der Lohn, den die Sünde zahlt, ist der Tod. Gott aber schenkt uns unverdient, aus reiner Gnade, ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.


1 Aufatmen 2/2002, S.11
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